Mal ein verkehrspolitisches Thema. In meiner Heimatkommune der schönen Stadt Tübingen gibt es gerade eine heftige Debatte über eine neue Straßenbahn-Innenstadtstrecke. Diese soll durch eine enge Straße führen, durch die auch alle Radfahrerinnen fahren (Mühlstraße). Das Thema Fahrradverkehr vs. Straßenbahn liegt hier also nahe.
Und es ist gleichzeitig ein Problem. Seien wir ehrlich: Als ökologisch orientierter Mensch denkt man sich den Öffentlichen Nahverkehr und den Radverkehr immer als Symbiose.
Weg vom motorisierten individuellen Fahren, das zu viele Ressourcen verbraucht und hin zu ressourenschonender Mobilität.
Die Straßenbahn oder das Bahnfahren sticht dadurch hervor, dass hier besonders viele Menschen in kurzer Zeit transportiert werden können. Wenn jeder Straßenbahnfahrer in den großen Städten auf Autofahren umstellen würde, so hätte das einen sofortigen Verkehrskollaps zur Folge.
Das Radfahren ist zwar auch individuell wie das Auto (eigentlich noch individueller), aber es verbraucht meistens kaum Energie außer die des Radfahrenden.
Etwas anderes sind die E-Bikes, aber auch hier wird weniger Strom verbraucht als bei einer Straßenbahn oder auch bei einem E-Auto.
Die Fronten sind klassischerweise klar: Fahrrad und ÖPNV vs. Auto. Aber wenn man sich den Stadtverkehr mal genauer anschaut, bekommt man vielleicht einen anderen Blick.
Ich jedenfalls bin ein leidenschaftlicher Bahnfahrer und ein leidenschaftlicher Radfahrer. Beides mag ich sehr gerne.
Allerdings mag ich auch Realismus, wenn man Verkehrsthemen betrachtet, und da ist mir ein Zusammenhang aufgefallen: Auch Straßenbahnverkehr kann Radverkehr verdrängen und auch anders herum.
Es geht also in diesem Artikel also mal um das Thema Fahrradverkehr vs. Straßenbahn und auch ein bisschen um autonomen Verkehr. Diese Zusammenhänge sind noch wenig beleuchtet und ich finde wenige Studien und Artikel dazu.
Meine Devise dabei lautet immer: Fahrrad First! Das Fahrrad ist wohl das ökologischste Verkehrsmittel, mit dem man auch längere Strecken vornehmen kann. Deshalb sollte es in Städten (neben dem Fußgängerverkehr) eine sehr wichtige Rolle spielen.
Straßenbahnverkehr vs. Radverkehr: 3 Beispiele, wie Straßenbahnen für Radfahrer ein Problem sein können
Ich möchte jetzt gerne 3 Beispiele nennen, die den Zusammenhang zwischen Radverkehr und Straßenbahnen erläutern und auch problematisieren sollen. Mainz, Karlsruhe und Zürich habe ich mir dazu ausgesucht. Denn Straßenbahnschienen und Radverkehr beißen sich leider!
Erstes Beispiel: Die Gaustraße in Mainz
Die Gaustraße in Mainz wurde für Radfahrer gesperrt, weil es dort ständig Stürze gab. Bei manchen wurde die Polizei gerufen, aber die Dunkelziffer ist natürlich höher. Nicht auszudenken, wenn ein Radfahrer mal direkt vor einer Straßenbahn landet.
So ein Verbot klingt natürlich erstmal doof für Radfahrende, aber die Straße ist eben einfach sehr eng.
Jetzt muss man sagen, dass die Straße dort auch sehr stark bergab geht und dass sie irgendwas zwischen 2,75m und 3m Breite hat.
Bergab gibt es hier für Radfahrer keine Möglichkeit nicht auf der Schienentrasse zu fahren. Gerade mit Rennradreifen hat man aber besonders die Gefahr, dass man in den Rillen hängen bleibt.
Viele sagen halt: Die Radfahrer müssen halt aufpassen etc. Aber um den Radverkehrsanteil zu steigern, muss sich halt auch die alte Oma/der alte Opa mit E-Bike sicher fühlen – nicht nur der sportmachende Rennradfahrer oder die sportmachende Rennradfahrerin. Die Verkehrsinfrastruktur muss sich immer an den Schwächsten orientieren.
Ich halte dieses rein individualistische Verantwortungsblabla für sehr falsch. In der liberalen Niederlande setzt man auch eher auf Strukturen, d.h. in dem Fall Radinfrastruktur, bei der man höchstens mal Schienen queren muss, was aber deutlich unproblematischer ist als parallel zu ihnen zu fahren.
Mainz hat viele solche Probleme, wo sich Fahrradverkehr und Straßenbahnverkehr treffen. Dennoch hat Mainz einen hohen Radanteil im Modal Split. Das ist gut. Aber vielleicht wäre der noch höher, wenn man es schaffen würde, Fahrradverkehr und Straßenverkehr besser zu entflechten.
Zweites Beispiel: Die Pfinzstraße in Karlsruhe
Insgesamt muss man ja sagen, dass sie Stadtbahn in Karlsruhe eine sehr gute Idee war. Ich nutze sie selber oft, z.B. wenn ich im Nordschwarzwald Fahrrad fahre. Man kommt vom Freudenstadter Gebiet bis nach Karlsruhe. Außerdem ist Heilbronn auch an die Karlsruher Stadtbahn angeschlossen.
Insgesamt empfinde ich das also als sehr vernünftiges Projekt. Es gibt aber eben Teile dieser Stadtbahn, die nicht so gelungen sind. Deshalb hat man auch jetzt einen Tunnel in Karlsruhe gebaut, der insgesamt 1,1 Mia. € verschlungen hat. Die Stadt war so jahrelang Baustellenstadt.
Dazu kommt: Die Pfinztalstaße in Karlsruhe ist wirklich für Radfahrer*innen überhaupt nicht schön zu fahren. Man fühlt sich sehr unsicher, wenn man hier ohne gescheite Radwege vor der Straßenbahn fahren muss.
Was das ganze noch schlimmer und fast absurd macht. Inmitten von Karlsruhe-Durlach gibt es ein Teilstück, auf denen Radfahrer gar nicht fahren dürfen.
Nur die Straßenbahn und der Fußgängerverkehr dürfen dort durch. Es gab jetzt schon Anträge im Ortschaftsrat, das Radfahren für das Teilstück zu legalisieren. Denn es würde sich ohnehin niemand daran halten. Das wurde aber abgelehnt.
Das Problem ist auch hier: Eine alternative Radstrecke ist nicht ausgeschildert. Zudem ist es wenig intuitiv, wenn man ein Stück fahren darf und ein Stück eben nicht.
So zeigt sich, dass das Gesamtprojekt zwar gut gedacht ist, aber es dennoch für Radfahrer starke Einschränkungen gibt.
Auch die Versicherungswirtschaft schränkt die Euphorie ein. Für Fußgänger ist die Straßenbahn recht gefährlich.
Drittes Beispiel (Zürich):
Zürich ist ja die die einzige Stadt, die einen Test mit Kunststoff in den Rillen der Schienen ausprobiert hat. Der ist aber leider gescheitert.
So hat man dort einfach die Rillen mit diversem Kunststoff gefüllt. Das Ziel war dass Radfahrer*innen so nicht mehr in den Schienen landen sollten. Jedoch hat sich der Kunststoff nach kurzer Zeit durch die Schwere der Straßenbahnen „verkrümelt“.
Der Versuch hat also nicht geklappt. Die Züricher wollen es eventuell nochmals probieren, Lösungen zu finden.
Selbst wenn man es aber schaffen würde und man Kunststoff in den Rillen der Schienen unterbringen könnte, so hat eine Straßenbahn für einen Radler etwas Bedrohliches.
Das subjektive Sicherheitsgefühl ist sehr dafür entscheidend, ob ich radfahre oder nicht. Und sicheres und entspanntes Radfahren sorgt erst für die Steigerung des Radanteils.
Jetzt muss man sagen, dass in Zürich der Straßenbahnverkehr sehr gut ausgebaut ist. Aber Zürich auch einen geringen Anteil von Radfahrenden hat.
Auch hier also wieder: Nicht nur der Autoverkehr ist ein Problem für die Radfahrer, sondern auch der Straßenbahnverkehr kann es sein.
Um also den Radverkehr zu stärken, müsste man die Straßenbahn vielleicht an der ein oder anderen Stelle zurückbauen. Das wird aber aus verständlichen Gründen nicht gemacht. Es ist einfach unglaublich teuer, Schienen zu bauen. Und wenn sie da sind, ist es i.d.R. auch volkswirtschaftlich notwendig und sinnvoll sie zu nutzen.
Mein Fazit aus den 3 Beispielen – Fahrradverkehr vs. Straßenbahn
Schlussfolgerung: Es könnte gar sein, dass es einen negativen Zusammenhang zwischen gutem Straßenbahnausbau und Fahrradverkehr gibt. Dazu wäre jetzt sicherlich eine verkehrswissenschaftliche Studie gut, die ich aber natürlich gar nicht leisten kann (aber auch nirgendwo gefunden habe bisher).
D.h. Arbeitshypothese: Je eher die Straßenbahn in den Verkehrsraum von Radfahrern eingreift, desto weniger Radverkehr.
Natürlich spielen da tausend andere Aspekte rein. Z.B. ist in Wien die Straßenbahn sehr günstig, der Radverkehr an manchen Stellen sogar gut ausgebaut (aber nicht an allen sicherlich) – und dafür der Radverkehrsanteil nur bei 8%.
In Leiden oder Groningen (Niederlande) ist der Radverkehrsanteil hoch, die Straßenbahn aber auch eher teurer etc.
Und auch das Erfolgsmodell Kopenhagen als Fahrradstadt war wohl nur möglich, weil in den 70ern die Straßenbahn dort abgebaut wurde. Die Straßen wurden zwar erst mit Autos gefüllt, aber bald fingen die Kopenhagener an, ihre Stadt in eine Fahrradstadt umzubauen.
Zuletzt: Wie sieht eigentlich dann der Zusammenhang zwischen Fahrradverkehr und autonomen PKWs aus?
Jetzt habe ich noch einen anderen Artikel gefunden. Auch die autonomen PKWs könnten ein erhebliches Problem für den Radverkehr darstellen.
So schreibt Netzpolitik.org: „Selbstfahrende Autos könnten bald Radfahrer von der Straße drängen.“ Das ist vielleicht etwas reißerisch, da es noch gar nicht so viele autonome Autos gibt. Außerdem muss daran noch ein paar Jahre geforscht werden bis sie funktionieren.
Allerdings können autonome Autos Fahrradfahrer und Fußgänger nicht so richtig einschätzen. Sie verhalten sich wohl einfach willkürlicher. Und ein autonomes Auto fährt im Zweifel eher das Fahrrad um als den Lastwagen, der viel auffälliger ist.
Gerade das Verhalten von Fahrradfahrern ist aber eben besonders schwierig vorauszusagen, weil sie sich mal wie Autos und mal wie Fußgänger verhalten. Hier hat die Software wohl noch nicht so die richtige Lösung gefunden.
Aber ich bin da nicht so pessimistisch. Ich denke, dass die Künstliche Intelligenz irgendwann so weit sein wird. Allerdings glaube ich nicht daran, dass das autonome Fahren in den Städten so schnell umsetzbar ist. Gerade in Deutschland und in Europa gibt es sehr enge Städte. Die Verkehrsteilnehmer haben hier eine intuitive Intelligenz entwickelt, die Roboter-Gefährte erst noch entwickeln müssten.
Mein Plädoyer & Fazit: Fahrradverkehr vs. Straßenbahn vs. Autonome PKWs
Mein Plädoyer ist eigentlich ganz einfach: Lasst der humanen Technik, dem Fahrradfahren einfach den meisten Platz in den Städten. Dann wird alles gut und es wird am meisten CO2 gespart.
Aus Klimawandel-Sicht sollte man auch das Fahrrad der Straßenbahn vorziehen und autonomes Fahren nur so erlauben und ermöglichen, dass es den Radverkehr nicht einschränkt.
Und warum nicht etwas von Indien lernen? Und ein Fahrradrikscha-Taxi-System aufbauen? Indien hat von den großen Industrie- und Schwellenländern den geringsten CO2-Ausstoß pro Kopf. Man könnte ja auch an E-Fahrradrikschas denken.
So etwas wird noch nicht gedacht. Dazu könnten Fahrradautos (Fahrräder, die wie Autos aussehen und einen ähnlichen Komfort haben) eine Lösung sein. So hat der schwedische Ingenieur Mikael Kjellmann ein Podride designt. Wenn es da ist, will ich unbedingt eins kaufen!